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Essigpapst Erwin Gegenbauer – Der Mann, der Genießern Saures gibt

Dem süßen Leben hatte sich Industrie-Sprössling Erwin M. Gegenbauer verschrieben, bevor er Mitte der 90er Jahre seine sauren Wurzeln wiederentdeckte und begann, in seiner Wiener Essig Brauerei nur noch allerbeste Essige zu produzieren. Ob mit den Geschmacksrichtungen Spargel oder Paprika oder mit den jahrelang gereiften Balsamessigen – heute beliefert er auf vier Kontinenten Qualitätsfanatiker mit seiner sauren Edelware.

Vier Ingredienzien machten aus einem ehemaligen Manager und Lebemann par Excellence den berühmtesten Essigbrauer der Welt: Neugierde, Perfektionismus, Beharrlichkeit und Kompromisslosigkeit. Von allen vier Eigenschaften hat gebürtige Wiener Erwin Gegenbauer mehr als genug in die Wiege gelegt bekommen - zusammen mit einer langen, sauren Familiengeschichte. Und ohne diese Eigenschaften wären seine Produkte, Wein-, Frucht- und Balsamessige von höchster Qualität, sicherlich nicht von New York bis Tokio bei den verwöhntesten Feinschmeckern und besten Köchen derart geschätzt und beliebt.

Die Neugierde

Die Neugierde, die noch heute Motor für alle Neuentwicklungen im Hause Gegenbauer ist, war vor vielen Jahren Schuld an der sauren Erfolgsgeschichte im Wiener Stadtteil Favoriten. Mit 14 Jahren noch eher trinkunerfahren, war bei Erwin Gegenbauer einmal eine Flasche Wein eine ganze Weile halbvoll stehen geblieben. Was andere mit gerümpfter Nase in den Abguss geschüttet hätten, war für ihn ein spannender Verkostungsversuch. Und siehe da: Sicherlich reichlich unharmonisch, aber doch beeindruckend klar schmeckte der einst gute Wein nun nach einem ordentlichen Essig. Zu diesem Zeitpunkt dachte der Wiener, der damals noch an der Uni und in der Weltgeschichte seine Grenzen auslotete, kein bisschen daran, seinen Lebensunterhalt mit Essig zu verdienen.

Doch ein Anfang war gemacht. Mehr als Hobby begann Gegenbauer, in saurer Familientradition aus verschiedenen Weinen im Keller Essig zu machen. Erstaunt nahm er wahr, dass je nach Wein der entstandene Essig ganz unterschiedlich schmeckte – und manchmal dank der primitiven Methode nach dem traditionellen Orleans-Verfahren (Alkohol kommt mit in der Luft vorhandenen Essigbakterien in Kontakt) einfach nur schlecht wurde und es Essig mit dem Essig war.

Schlecht wurde auch Gegenbauer regelmäßig, wenn er als Juniorchef der familieneigenen Konservenfabrik ohne Rücksicht auf Qualität mit den großen Einkäufern der Handelsketten immer weiter im Preis gedrückt wurde. Wuchs der kleine Traditionsbetrieb in den 50er Jahren mit der Einführung der Supermärkte segensreich auf über 600 Mitarbeiter, stellte sich die Macht der großen Ketten und deren gegenseitige Preiskämpfe in den Neunzigern als Fluch heraus. Privat mit einer großen Leidenschaft für Genuss gesegnet, war Gegenbauer beruflich verdammt, immer schlechtere Produkte zu liefern, um die vielen Mitarbeiter zu bezahlen.

Die Kompromisslosigkeit

Das ging so lange, bis ihm seine ureigene Kompromisslosigkeit einen Strich durch die Rechnung machte. Quasi in letzter Sekunde verkaufte er 1992 die elterlichen Konservenfabriken, freilich ohne nennenswerten Gewinn, denn die Investitionen in den vorangegangenen Jahren waren gewaltig gewesen. Der nächste Schritt sollte nicht zurück, sondern nach vorne sein, hin zur Qualität im kleinen handwerklichen Rahmen. So war es naheliegend, sein Hobby Essigbrauen zum Beruf zu machen.

Er begann ein waghalsiges Unterfangen, denn Essig hatte alles andere als einen guten Ruf. Mit der wachsenden Weinbildung hatten Genießer gelernt, den Essigton als Fehler zu werten und damit Essig als etwas Minderwertiges abzutun. Und was sich sonst auf dem Markt tummelte, war zumeist weit davon entfernt, dem seit Menschheitsgedenken in Nahrung, Heilung und Schönheitspflege eingesetzten Produkt ein gutes Renommee zu geben. Aus schlechtem Wein wird Essig, dachten und denken heute noch viele – und damals wie heute haben sie damit meist recht. Dass Essig schwerer als Leitungswasser zu verkaufen ist, lernte Gegenbauer spätestens, als er im Herzstück des Familienbetriebs, dem Stand am seinerzeit ebenfalls imagemäßig kränkelnden Naschmarkt, seine Hobbyessige aus dem Keller auspackte. Diesen Stand wollte er eigentlich schon zu Beginn seiner Konservenkarriere dem Rotstift opfern, denn für den Konservenladen, der das gleiche wie die benachbarten Supermärkte anbot, nur teurer, sah er keine Verwendung. Damals hat er von seiner Familie den Ratschlag bekommen, den Laden nicht nur als Seele, sondern auch als „Marktforschungsinstitut“ zu behalten, um zu testen, was den Verbrauchern gefällt. Und genau das tat Erwin Gegenbauer nun, als er dem Personal freigab und an einem Samstag seine Essigfässer anrollte.

Die Beharrlichkeit

Natürlich wurde er ausgelacht – bestenfalls. Denn er wurde auch als Scharlatan beschimpft. Ein Billigprodukt wie Essig teuer verkaufen zu wollen, was ihm denn wohl einfalle, prangerte ihn ein Passant an. Doch Gegenbauer blieb beharrlich und verkaufte tatsächlich ein paar Fläschchen. Den Durchbruch bescherte ihm einer der Käufer. Er kam an einem Tag vorbei und präsentierte dem verdutzten Gegenbauer ein Kochrezept, zu dem er den Essig verwendet hatte. Das war der Wendepunkt. Noch nie hatte der erfolgsverwöhnte Wiener, der den größten Teil seines Lebens nur mit Statistiken und ausgebufften Einkäufern zu tun hatte, etwas zurückbekommen, war in echte Kommunikation mit dem Verbraucher getreten. Ohne groß nachzudenken, räumte er alle Konserven aus den Regalen des Verkaufsraums und die Essige ein - gegen jede Vernunft und gegen den lautstarken Protest des Verkaufspersonals, das fast der Schlag traf, als es erfuhr, dass von nun an „kaputter Wein“ an den Mann gebracht werden sollten.

Der Perfektionismus

Gleichzeitig wurde der Perfektionist in ihm wach. Sein Essig musste der beste werden! Alles, was er über Essig erforschen konnte, las sich Gegenbauer an: Und nun kamen alle vier Eigenschaften zusammen, die heute seine unnachahmlichen Essige ausmachen: Die Neugierde, mit der er sich in die Forschungsliteratur einlas und mit der er im Keller experimentierte, die Beharrlichkeit, mit der auch bei zahllosen Rückschlägen nicht aufgab, die Kompromisslosigkeit, mit der er regelmäßig im großen Umfang die Wiener Kanalisation mit missratenem Essig bediente und der Perfektionismus, durch den er bis heute nur die allerbesten Grundprodukte verwendet.

Heute ist der Österreicher, der sich gerne bescheiden als kleinster Essigbrauer der Welt bezeichnet und sich doch eigentlich Essigforscher nennen müsste, Herr über 70 Essigsorten und hat auch weitere Genusszweige aufgebaut. Seit 2006 werden am Nachmarkt drei Sorten Gegenbauer-Kaffee aus kleinen Lagen von einem Triester Importeur frisch geröstet verkauft und in so renommierten Häusern wie dem Wiener Steirereck serviert, seine eleganten Fruchtsäfte schenkt die Gastronomie statt Wein korrespondierend zum Sterne-Essen aus. Und diverse Öle aus Trauben- oder Argankernen oder aus Oliven komplettieren das Sortiment für den wahren Genießer, dem nichts so zuwider ist wie pasteurisierte, verdünnte, mit Zusatzstoffen aufpolierte und dem Naturprodukt entfremdete Massenware.