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Habemus Papam (trend, 30.1.2012)

ESSIG & ÖL.

Erwin Gegenbauer trägt, von wem auch immer verliehen, den Titel "Essigpapst". Dem trend gewährte der Pontifex eine Privataudienz - nicht nur in der Manufaktur, auch in den Privatgemächern.

Die Adresse ist wahrlich keine noble. Die Fassade schmucklos, kein Firmenschild weit und breit zu sehen, kein Logo, kein Fariksverkauf, kein Showroom, eine ordinäre, enge Hofeinfahrt, das ist alles. Hier, im proletarisch-roten Favoriten, soll Seine Heiligkeit, der Essigpapst von Wien residieren? Mal sehen, wie das geht.

Es geht, und tatsächlich ziemlich besonders. Erwin Gegenbauer führt in sein privates Quartier. Vom Gangfenster im Innenhof schon der erste überraschende Ausblick: Am Dach vis-à-vis liegen dicht gedrängt kleine Holzfässer. "Ich habe freien Blick auf meine eigenen Aktien", scherzt der Hausherr. In den Barriques wird wertvoller Balsamicoessig fünf Jahre lang dem Wechsel der Jahreszeiten ausgesetzt, kommt genau dadurch zu seiner hohen Qualität. Der Kurs der flüssigen Aktien ist keinesfalls absturzgefährdet.

Sieht es am Gang noch aus wie in einem durchschnittlichen Zinshaus im 10. Bezirk, ist das Gegenbauer'sche Wohnzimmer von einer ganz anderen Handschrift geprägt. Man steht unvermittelt in einem Mittelding aus Loft und neu interpretierter Bauernstube. Zuerst: die Decke. Bei der Instandetzung der Räume kamen die alten massiven "Tram" zum Vorschein, und die mussten unbedingt frei sichtbar bleiben. Die Spalten zwischen den einzelnen Balken wurden mit Putz verschmiert, enizelne Balken sind mit angerosteten Maurerklampfen verbunden - freie Sicht statt "abgehängte Holzdecke". Schön!

Die den Fenstern gegenüberliegende Wand erscheint in roter Naturziegel-Fasson: eine eher ungewöhnliche, den Raum aber durchaus belebende Idee. So viel ist bald klar: Nichts, aber auch schon gar nichts ist hier Konfektionsware. Schon allein der holzgefeuerte, schwarze Ofen! Natürlich eine Extraanfertigung, ausgestattet mit Herdplatte, oben liegendem Backrohr und "Wasserschiff" - einem integrierten Heißwassertank. An diesem Monstrum kocht und bäckt der Chef persönlich, und wenn er für Gäste kocht, dann aber bitte das Allerfeinste. Herr Gegenbauer ist ein Küchen-Aficionado, einer, dem das Beste noch nicht genug ist, der, so sagt er selber, keinen Luxus mag außer jenem, gut, besser, am besten zu essen und zu trinken. Er ist nicht nur ein Philosoph der Essig - und Ölkultur, nicht nur ein Prediger wider die Torheiten von Fast- und Junkfood, er ist ein radikaler Fanatiker des guten Geschmacks. "Schlechtes Essen macht mich aggressiv", sagt er und lobt im selben Atemzug über alle Maßen die Kraft und Stärke des schlichten Erdapfels, den er in Gestalt der Sorte "Bamberger Hörnchen" bisweilen sogar extra aus dem deutschen Brandenburg einfliegen lässt.

Es ist eine paradoxe Mischung: Einerseits hat Gegenbauer den Hang zur Normalität, zur Einfachheit. Andererseits treibt er die Einfachheit zur Exklusivität, zur Spitze. Er liebt es klar, pur, perfekt. Sechsgängige Menüs für acht Gäste, das macht er gern. Bei solchen Anlässen wird über die Feinheiten von Keller und Küche gefachsimpelt, und ja, auch gestritten. Weil: "Streiten sollte man sehr wohl, aber nicht über Politik, sondern über die schönen Dinge des Lebens."

Holz, viel Holz. In drei fast zimmerhohen Türmen eingeschlichtet, wird der Brennstoff vor seiner eigentlichen Zweckwidmung als optischer Raumteiler genutzt. Vorne die Wohnküche, dahinter Liege, Fernseher und Bücherwand - auch das eine ungewöhnliche, spektakuläre Raumidee.

Dazu gibt es in der Gegenbauer'schen Neuinterpretation der Bauernküche auch sauber verarbeitetes Holz. Der mächtige Esstisch aus Hirschbirne mit vielen Schubladen und Herrgottskreuz (einer Fußleiste im Stil von alten Bauerntischen), die mächtigen Chorherrenstühle, die der reich gegliederte Wandverbau, die Bücherwand und last, but not least die von hinten beleuchtete Bar im Nebenraum - das ist eine eindeutige, markante Handschrift, und die stammt von einem Tischler namens Anton Farthofer, der im Weinort Gösing am Wagram solch fesche Vollholzmöbel zimmert. Die noch dazu hier besonders gut zur Geltung kommen, denn Herr Gegenbauer würde es nie zulassen, dass der Riesentisch mit Tüchern, Deckchen und sonstigem Klimbim abgedeckt wird. "Deko macht mich krank", sagt er. Ein Tisch soll Kratzer, Spuren, Astlöcher, Eigenleben haben und nicht sterile "Büchsenarchitektur" sein - das ist seine Überzeugung, und sie ist gut nachvollziehbar.

Sind andere Firmenchefs froh, wenn sie nach einem langen Tag ihr Büro, ihre Werkshallen Richtung Stadtrand verlassen können, so bleibt der Herr Chef auch nach Feierabend "mitten in der Wiener Bronx" und lebt, zwei Stock über Büroniveau, das glückliche Leben eines Familienmenschen. Jeden Tag in die Firma zu pendeln, im Stau zu stehen, das wäre seine Sache nicht - "das ist doch verlorene Zeit, da spiele ich lieber mit den Kindern".

Seine eigene Jugendzeit hat der spätberufene Vater zweier Kinder übrigens in nicht sehr glücklicher Erinnerung. Schon früh eingebunden in einen stetig wachsenden Großetrieb, "schrie man sich täglich an", erinnert sich der nunmehrige "kleine Gewerbetreibende", der damals "mehr Geld als heute hatte, aber keine Zeit es auch auszugeben". Der Stress, die Dauerkonflikte des Juniors mit seinem Vater zeigten Wirkung. "Mit dreißig war ich ein Wrack." Die Konsequenz war der Totalausstieg aus der industriellen Produktion und die Neuorientierung - für ihn zweifellos der passendere Weg. Ist er jetzt glücklich? "Das Glück ist ein Vogerl. Ich sage lieber, ich bin zufrieden, so wie es ist."

Text: Othmar Pruckner